Einigungsstelle: Konfliktlösung für Betriebsräte nach dem BetrVG

Können Arbeitgeber und Betriebsrat sich nicht einigen, wenden sie sich an die Einigungsstelle. Wir erklären, wann dieses Gremium entscheidet und wie das Verfahren vor der Einigungsstelle abläuft.

1. Was ist die Einigungsstelle?

Die Einigungsstelle stellt ein zentrales Element der Betriebsverfassung dar. Sie wird vor allem relevant, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat sich in Angelegenheiten nicht einigen können, die der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen. Gesetzliche Grundlage ist § 76 BetrVG.

Die Einigungsstelle ist weder ein Gericht noch eine Behörde, sondern eine von Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam gebildete Einrichtung mit Schlichtungs- und Entscheidungsfunktion.

2. Besetzung der Einigungsstelle nach BetrVG

Die Schlüsselfunktion der Einigungsstelle nimmt der Vorsitzende ein, der unparteiisch sein muss. Auch wenn das Gesetz keine persönlichen Anforderungen an die Person des Vorsitzenden stellt, wird allgemein verlangt, dass der Einigungsstellenvorsitzende über die erforderliche Fachkunde und über Verhandlungsgeschick verfügt. Der Vorsitzende leitet die Verhandlungen und seine Stimme gibt den Ausschlag, wenn das Verfahren durch den Spruch der Mehrheit der Mitglieder der Einigungsstelle abgeschlossen werden muss (siehe unten zum Verfahren vor der Einigungsstelle).

In der Regel werden Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit zum Vorsitzenden bestellt. Personalvorschläge können wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit der Person bestehen. Kommt keine Einigung über den Vorsitzenden zustande, entscheidet das Arbeitsgericht (Verfahren nach § 100 ArbGG).

Neben dem Vorsitzenden ist die Einigungsstelle mit sog. Beisitzern besetzt. Jede Seite stellt die gleiche Anzahl. Wie viele Beisitzer insgesamt erforderlich sind, richtet sich nach der Komplexität des Regelungsgegenstandes und den Besonderheiten des Einzelfalls. Können sich die Parteien nicht einigen, entscheidet das Arbeitsgericht. In der Regel sollte der Betriebsrat mit Blick auf die steigenden Kosten vier Beisitzer auf beiden Seiten vorschlagen. Dies erhöht den Druck auf den Arbeitgeber, eine möglichst rasche Beendigung des Verfahrens zu erreichen.

Welche Personen zu Beisitzern der Einigungsstelle bestellt werden, liegt im freien Ermessen von Arbeitgeber und Betriebsrat. Es bietet sich an, erfahrene Rechtsanwälte heranzuziehen. Anders als bei der Bestellung des Einigungsstellenvorsitzenden ist eine Ablehnung von Beisitzern der jeweils anderen Seite ausgeschlossen.

3. Wann und was entscheidet die Einigungsstelle?

Die Einigungsstelle soll Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (bzw. Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat) beilegen. Nicht vor die Einigungsstelle gehören demgegenüber Streitigkeiten zwischen dem Arbeitgeber und den Gewerkschaften oder zwischen dem Betriebsrat und den Arbeitnehmern.

Unterschieden wird zwischen

  • dem erzwingbaren Einigungsstellenverfahren und
  • dem freiwilligen Einigungsstellenverfahren.

Die Einigungsstelle wird in den Fällen, in denen der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt (erzwingbares Einigungsstellenverfahren), auf Antrag einer Seite tätig. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält keinen abschließenden Katalog von Fällen, in denen eine Einigungsstelle erzwingbar ist. Vielmehr ergibt sich die Kompetenz der Einigungsstelle aus vielen einzelnen Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts.

Beispiele:

Das Einigungsstellenverfahren kann aber auch freiwillig durchgeführt werden. Dies kommt in Betracht, wenn das Gesetz nicht zwingend eine verbindliche Einigung der Betriebspartner verlangt. Die Einigungsstelle im freiwilligen Verfahren wird nur tätig, wenn beide Seiten dies beantragen oder mit der Einbindung der Einigungsstelle zumindest einverstanden sind.

Der freiwillige Gang vor die Einigungsstelle ist in allen Angelegenheiten möglich, die in die Zuständigkeit des Betriebsrats fallen und über welche die Betriebspartner auch verfügen können.

Beispiele:

  • Freiwillige Betriebsvereinbarung in weiteren sozialen Angelegenheiten (§ 88 BetrVG)
  • Freiwillige Betriebsvereinbarung über die menschengerechte Arbeitsgestaltung (§ 90 BetrVG)
  • Freiwillige Betriebsvereinbarung über die Einführung einer Personalplanung (§ 92 Abs. 2 BetrVG)
  • Freiwillige Betriebsvereinbarung über die Gestaltung der Berufsausbildung (§ 96 BetrVG)

4. Ablauf des Verfahrens vor der Einigungsstelle

Die Einigungsstelle muss nach ihrer Einrichtung unverzüglich tätig werden. Das Verfahren vor der Einigungsstelle ist im Betriebsverfassungsgesetz allerdings nicht vollständig geregelt. § 76 BetrVG legt lediglich fest,

  • dass mündlich beraten und abgestimmt werden muss,
  • wie abgestimmt wird und
  • dass die Beschlüsse der Einigungsstelle schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten sind.

Darüber hinaus bleibt den Betriebspartnern im Sinne einer effektiven Streitschlichtung ein großer Handlungsspielraum.

Die Sitzungen der Einigungsstelle sind nicht öffentlich. Allerdings kann die Einigungsstelle etwa Zeugen hören oder Sachverständige hinzuzuziehen. Sie hat den für die Entscheidung erheblichen Sachverhalt nämlich von Amts wegen (also „von sich aus“) aufzuklären.

Aufgrund der Corona-Sonderregelungen konnten vom 1. März 2020 bis zum 30. Juni 2021 die Sitzungen der Einigungsstelle auch mittels Video- oder Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt war, dass Dritte vom Inhalt dieser Sitzungen keine Kenntnis nehmen konnten. Eine Aufzeichnung war unzulässig.

Das Verfahren läuft grob wie folgt ab:

  1. Die Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber (z.B. über eine Betriebsvereinbarung) sind gescheitert und eine (oder beide) Partei(en) beantragen die Einberufung einer Einigungsstelle.
  2. Betriebsrat und Arbeitgeber einigen sich auf einen Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer. Nötigenfalls entscheidet das Gericht (s.o.).
  3. Nun beginnt das eigentliche Verfahren. Zuerst verhandeln die Betriebspartner mündlich über den Streitgegenstand.
  4. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht vor, dass die Einigungsstelle anschließend einen Beschluss mit Stimmenmehrheit fasst. Bei der ersten Abstimmung hat sich der Vorsitzende der Stimme zu enthalten.
  5. Ergibt die erste Abstimmung keine Mehrheit, hat sodann eine weitere Beratung zu erfolgen. Davon kann allerdings abgesehen werden, wenn sämtliche Mitglieder der Einigungsstelle diese nicht mehr für erforderlich halten.
  6. An der zweiten Abstimmung nimmt auch der Vorsitzende teil. Eine Stimmenenthaltung des Vorsitzenden bei der zweiten Abstimmung ist nicht zulässig, da dessen Stimme in einer Patt-Situation gerade den Ausschlag geben soll. Eine Stimmenenthaltung der Beisitzer ist dagegen bei beiden Abstimmungen möglich.
    Die zweite Abstimmung hat über dieselbe Vorlage wie die erste zu erfolgen. Wird nach einer ersten Abstimmung mit Stimmengleichheit ein Antrag inhaltlich abgeändert, ist dieser zunächst zu einer erneuten ersten Abstimmung ohne Beteiligung des Einigungsstellenvorsitzenden zu stellen und erst bei Stimmengleichheit zu einer zweiten Abstimmung, dann unter Teilnahme des Einigungsstellenvorsitzenden, zu stellen.
  7. Die Beschlüsse der Einigungsstelle sind schriftlich festzuhalten und dem Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten. Zuvor muss sie der Vorsitzende unterschreiben. Andernfalls ist der Einigungsstellenspruch unwirksam. Eine Begründung des Einigungsstellenspruchs hält das Bundesarbeitsgericht zwar nicht für erforderlich, allerdings wird eine Begründung für „zweckmäßig“ gehalten, damit eine gerichtliche Überprüfung des Spruchs erleichtert wird.

Die Einigungsstelle hat ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen zu fassen. Das bedeutet: Die Beteiligten müssen eine Lösung suchen, auf die sich die Betriebsparteien vernünftigerweise auch freiwillig hätten einlassen können.

5. Kann der Betriebsrat von einem Anwalt vertreten werden?

Die Betriebspartner können sich im Verfahren vor der Einigungsstelle auch durch Verfahrensbevollmächtigte, wie etwa einem Rechtsanwalt, unterstützen und vertreten lassen.

Die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts als Bevollmächtigten des Betriebsrats hat gem. § 40 BetrVG der Arbeitgeber zu tragen sofern der Betriebsrat die Hinzuziehung des Rechtsanwalts bei pflichtgemäßer, verständiger Würdigung aller Umstände für erforderlich halten durfte. Davon ist in der Regel auszugehen, da in den meisten Fällen schwierige Rechtsfragen im Raum stehen.

6. Kosten der Einigungsstelle

Auch die übrigen Kosten der Einigungsstelle hat grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen.

Die Vergütung der Mitglieder einer Einigungsstelle (nicht aber der Bevollmächtigten) ist in § 76a BetrVG besonders geregelt. Im Übrigen hat der Arbeitgeber nur die Kosten zu tragen, die für die ordnungsgemäße und sachgerechte Durchführung der Einigungsstelle erforderlich und nicht unverhältnismäßig sind. Dazu gehören sowohl die Kosten für den Geschäftsaufwand (Räumlichkeiten, Büropersonal, Schreibmaterial) als auch die durch eine Beweisaufnahme (etwa eine Zeugenvernehmung) oder die durch Hinzuziehung von Sachverständigen angefallenen Kosten.

7. Fazit

  • Die Einigungsstelle soll Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat lösen. Sie besteht aus einem unparteiischen Vorsitzenden und einer gleichen Anzahl an Beisitzern auf beiden Seiten der Betriebspartner.
  • In vielen Fällen ist das Einigungsstellenverfahren durch eine der Betriebsparteien erzwingbar.
  • Die Beteiligten beraten über die streitige Angelegenheit und stimmen anschließend mit Stimmenmehrheit ab.
  • Die Kosten hat der Arbeitgeber zu tragen.

8. Fragen und Antworten

Was ist die Einigungsstelle?
Ist die Einigungsstelle erzwingbar?
Kann der Betriebsrat von einem Anwalt vertreten werden?