1. Umfang des Mitbestimmungsrechts bei der Einführung von IT-Systemen
Die Einführung neuer IT-Systeme fällt unter § 87 I Nr. 6 BetrVG und damit unter das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Durch IT-Systeme kann der Arbeitgeber nämlich grundsätzlich Leistung und Verhalten der Belegschaft kontrollieren. Die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter sollen vor den Gefahren anonymer Kontrolltechniken geschützt werden.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die IT-Systeme auch tatsächlich zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle nutzen will. Es genügt bereits, dass die IT-Systeme für diesen Zweck potenziell eingesetzt werden könnten. Das ist bereits der Fall, wenn Datensätze gespeichert und im Nachhinein einem Systemnutzer zugeordnet werden können. Denn durch entsprechende Nachbearbeitung und Auswertung der Daten können Rückschlusse auf Leistung und Verhalten gezogen werden.
Eine Arbeitgeberin wollte die Anwesenheits- und Fehlzeiten ihrer Angestellten mit Hilfe einer Excel-Tabelle erfassen, statt sie händisch zu dokumentieren. Da sie so lediglich die Addition der Stunden technisch vereinfachen wollte, nahm sie kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats an. Das BAG sah dies anders. Denn faktisch wurde ein IT-System eingeführt, dass potenziell zur Verhaltens- und Leistungskontrolle verwendet werden konnte. Zwar war der (potenzielle) Eingriff in die Persönlichkeitsrechte gering – das aber spielt laut BAG keine Rolle.
Festzuhalten bleibt, dass der Betriebsrat bei der Einführung von fast allen neuen IT-Systemen mitzubestimmen hat.
Beispiele:
- Überwachungskameras
- Zeiterfassungsgeräte
- Digitale Gruppenkalender
- Smartphones
- Office-Software
- Internet-Browser (wegen Verlauf etc.)
- Telefonanlagen mit Erfassung der Gesprächsdaten
- Kommentarfunktion für Nutzer auf Facebook-Seite des Unternehmens (weil Kunden Mitarbeiter namentlich „bewerten“ könnten)
- Cloud-Computing
In all diesen Fällen muss der Betriebsrat umfassend einbezogen werden und entscheidet sowohl beim „Ob“ der Einführung als auch beim „Wie“ der Anwendung mit. Damit unterliegt auch die Auswahl des Anbieters, die Verwendung und Auswertung der Daten sowie Ort und Zeitraum der Verwendung seinem Einfluss.
2. Grenzen des Mitbestimmungsrechts
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hat allerdings Grenzen.
Bestehen für die Einführung von IT-Systemen gesetzliche oder tarifliche Regelungen, kann der Betriebsrat nicht mitbestimmen.
Zudem bezieht sich das Mitbestimmungsrecht auf eine technische Datenspeicherung und -verarbeitung. Werden Daten auf anderem Wege gewonnen und verarbeitet, besteht kein Mitbestimmungsrecht.
Beispiele:
- Anwesenheitsliste in Papierform
- Händisch verfasste Tätigkeitsberichte
- Einsatz eines Privatdetektivs
3. Welcher Betriebsrat ist zuständig?
In vielen Unternehmen gibt es mehrere Betriebsräte, einen Gesamt- und einen Konzernbetriebsrat. Während der Betriebsrat von den im jeweiligen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern gewählt wird, besteht der Gesamtbetriebsrat aus Mitgliedern der einzelnen Betriebsräte. Diese wiederum bestimmen Personen aus ihren Reihen, die den Konzernbetriebsrat besetzen.
Der Gesamtbetriebsrat ist immer zuständig, wenn
- eine Angelegenheit mehrere Betriebe des Unternehmens betrifft und
- von den einzelnen Betriebsräten nicht innerhalb ihrer Betriebe selbst geregelt werden kann.
Berührt die Angelegenheit hingegen mehrere Unternehmen des Konzerns und kann sie nicht von den einzelnen Gesamtbetriebsräten geregelt werden, ist der Konzernbetriebsrat zuständig.
Die Einführung von neuen IT-Systemen wird regelmäßig zur Zuständigkeit des Gesamt- oder gar Konzernbetriebsrats führen. Das IT-System soll meistens in mehreren Betrieben oder Unternehmen integriert werden, sodass das Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung naheliegt. Allerdings kommt es auf den Einzelfall an.
4. Wie kommt eine Einigung zustande?
Hat der Betriebsrat bei einer Angelegenheit mitzubestimmen, so kann der Arbeitgeber die Angelegenheit nicht ohne die Zustimmung des Betriebsrats durchsetzen. Der Betriebsrat muss sich also mit dem Arbeitgeber einigen. Das geschieht in Form einer Betriebsvereinbarung. Diese stellt eine rechtsverbindliche Einigung zwischen den Parteien dar.
In der Vereinbarung sollten unter anderem folgende Fragen geklärt und festgehalten werden:
- Für welchen Zweck soll das IT-System eingeführt werden?
- Welche Daten über das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern sind für diesen Zweck nötig und dürfen verarbeitet werden?
- In welcher Weise dürfen diese Daten ausgewertet werden?
- Wer darf auf diese Daten zugreifen?
- Wann müssen die Daten aufgrund der Zweckerreichung gelöscht werden?
- Unter welchen Umständen dürfen die Daten für welche Zwecke gegebenenfalls weiter gespeichert werden?
- Welche Konsequenzen haben zulässige bzw. unzulässige Verhaltens- oder Leistungskontrollen?
Können sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einigen, muss der Spruch einer sogenannten Einigungsstelle eingeholt werden. Diese entscheidet dann verbindlich für die Parteien über die Angelegenheit.
5. Einführung von IT-Systemen ohne Mitwirkung des Betriebsrats
Führt der Arbeitgeber ohne Mitwirkung des Betriebsrats ein IT-System ein, so verletzt er das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Dieser hat anschließend einen Anspruch auf:
- Unterlassung der Nutzung des IT-Systems
- Abschaffung des IT-Systems
- Beseitigung aller Entscheidungen, die auf der unzulässigen Systemnutzung basieren
6. Kann der Betriebsrat einen Anwalt hinzuziehen?
Der Betriebsrat verfügt über keine eigenen finanziellen Mittel. Allerdings verpflichtet § 40 Abs. 1 BetrVG den Arbeitgeber zur Übernahme der Kosten, die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehen. Zu diesen Kosten zählen grundsätzlich auch Anwaltsgebühren. Der Betriebsrat kann also einen Anwalt hinzuziehen. Die Kostenübernahme besteht allerdings nicht, wenn die Einschaltung eines Anwalts offensichtlich aussichtslos oder mutwillig war. Das ist bei der Verhandlung über eine Betriebsvereinbarung im Kontext des § 87 Nr. 6 BetrVG allerdings kaum denkbar.
7. Fazit
- Das Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von IT-Systemen reicht weit und besteht bereits bei der Einführung und Anwendung alltäglicher Standardsoftware.
- Es genügt, dass IT-Systeme theoretisch zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle genutzt werden können. Ob der Arbeitgeber dies auch tatsächlich vorhat, spielt keine Rolle.
- Betriebsrat und Arbeitgeber einigen sich über die Einführung eines neuen IT-Systems im Rahmen einer Betriebsvereinbarung.
- Regelmäßig wird der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat zuständig sein.
- Verletzt der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht, kann der Betriebsrat eine Unterlassung der Nutzung und Beseitigung des IT-Systems fordern. Auf der Nutzung des Systems basierende Entscheidungen müssen rückgängig gemacht werden.
- Der Betriebsrat kann auf Kosten des Arbeitgebers einen Anwalt hinzuziehen.