1. Was ist eine Betriebsvereinbarung?
Eine Betriebsvereinbarung ist eine bindende Absprache zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Die wesentlichen Vorschriften dazu finden sich im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).
Die Betriebsvereinbarung gilt zudem nicht nur für Arbeitgeber und Betriebsrat, sondern sie wirkt unmittelbar und zwingend für alle Arbeitnehmer des Betriebes oder bestimmter Arbeitnehmergruppen. In diesem Punkt unterscheidet sich die Betriebsvereinbarung auch vom Tarifvertrag, welcher grundsätzlich nur für Gewerkschaftsmitglieder oder bei vertraglich vereinbarter Gleichstellung gilt.
Betriebsvereinbarungen sind somit ein zentrales Instrument der Mitbestimmung im Betrieb und haben großen Einfluss auf den Arbeitsalltag.
2. Was heißt „Nachwirkung“?
Sowohl der Arbeitgeber als auch der Betriebsrat können Betriebsvereinbarungen mit einer Frist von grundsätzlich drei Monaten ordentlich kündigen. In Ausnahmefällen ist sogar die fristlose Kündigung möglich. Auch durch Zeitablauf oder Zweckerreichung kann eine Betriebsvereinbarung enden.
Üblicherweise entfällt mit dem Ende eines Vertrages auch dessen Wirksamkeit. Nicht so bei der Betriebsvereinbarung: Auch nach dem Ende einer Betriebsvereinbarung kann diese weiterhin Wirkung entfalten. Dies nennt man „Nachwirkung“ der Betriebsvereinbarung.
3. Wann wirkt eine Betriebsvereinbarung nach?
Nicht jede Betriebsvereinbarung wirkt nach. Zur Beurteilung muss zwischen unterschiedlichen Arten von Betriebsvereinbarungen unterschieden werden:
Erzwingbare Betriebsvereinbarung
Manche Fälle der Mitbestimmung hat der Gesetzgeber als so bedeutend angesehen, dass der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung erzwingen kann, sollte der Arbeitgeber nicht mit sich reden lassen. Die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat wird dann nötigenfalls durch den Spruch einer Einigungsstelle (§76 Betrvg) ersetzt.
Die Erzwingbarkeit einer Betriebsvereinbarung wäre aber kaum sinnvoll, wenn der Arbeitgeber die Vereinbarung einfach wieder kündigen und ihre Wirkung dadurch aufheben könnte.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung eine Regelung bestehen bleibt und die betriebliche Mitbestimmung nicht unterlaufen wird.
Besonders in folgenden wichtigen Gebieten wirkt eine Betriebsvereinbarung somit regelmäßig nach:
- soziale Angelegenheiten (§ 87 Abs. 1 BetrVG)
- Personalfragebogen und Beurteilungsgrundsätze (§ 94 BetrVG)
- Auswahlrichtlinien (§ 95 BetrVG)
- Maßnahmen der Berufsbildung, welche der Beschäftigungssicherung dienen (§ 97 BetrVG)
- Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen (§ 98 BetrVG)
- Sozialplan (§ 112 Abs. 4 BetrVG)
Arbeitgeber und Betriebsrat können aber vereinbaren, dass eine Betriebsvereinbarung keine Nachwirkung entfaltet. Zudem kann auch die Dauer der Nachwirkung beschränkt oder einzelne Regelungen ausgenommen werden.
Freiwillige Betriebsvereinbarung
Anders als bei einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung ist bei einer freiwilligen Betriebsvereinbarung die Anrufung der Einigungsstelle nicht vorgesehen. Der Betriebsrat kann den Abschluss einer Betriebsvereinbarung in diesen Fällen also nicht erzwingen; stattdessen steht die freiwillige Einigung mit dem Arbeitgeber im Vordergrund. Arbeitgeber dürfen ein Verlangen des Betriebsrats in diesem Bereich aber auch einfach ablehnen. Wichtige Bereiche, in denen nur eine freiwillige Betriebsvereinbarung möglich ist, legt § 88 BetrVG fest.
Die Freiwilligkeit wirkt sich auch darauf aus, ob die Betriebsvereinbarung Nachwirkung entfaltet. Kraft Gesetzes ist dies nicht vorgesehen, da § 77 Abs. 6 BetrVG ausdrücklich nur für erzwingbare Betriebsvereinbarungen gilt.
Die Zulässigkeit einer so vereinbarten Nachwirkung wurde bereits 1998 durch das Bundesarbeitsgericht höchstrichterlich anerkannt (BAG, Beschluss vom 28.04.1998 – Az. 1 ABR 43/97). Dennoch sind sie und ihre Einzelfragen unter Juristen nach wie vor umstritten.
Ob eine freiwillige Betriebsvereinbarung also auch nach ihrem Ende Wirkung entfaltet, ist eine Sache des Einzelfalls. Bei Zweifeln sollten Betriebsräte frühzeitig einen erfahrenen Rechtsanwalt beauftragen.
Gemischte Betriebsvereinbarung
Enthält eine Betriebsvereinbarung sowohl freiwillige als auch erzwingbare Inhalte, wird deren Nachwirkung grundsätzlich getrennt betrachtet. Erzwingbare Teile gelten also kraft Gesetzes weiter, während freiwillige Regelungen grundsätzlich keine weitere Wirkung entfalten.
Ist eine eindeutige Trennung nicht möglich, ist die rechtliche Lage äußerst kompliziert und wird größtenteils durch einzelne Gerichtsentscheidungen geprägt. Betriebsräte sollten sich daher dazu so früh wie möglich rechtlich beraten lassen.
4. Wie weit reicht die Nachwirkung?
Grundsätzlich dürfen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zu Lasten des Arbeitnehmers von einer Betriebsvereinbarung abweichen. Das gilt jedoch nicht bei der Nachwirkung. Nach Auslaufen einer Betriebsvereinbarung kann der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer auch für diesen ungünstige Abweichungen vereinbaren. Die Regelungen der Betriebsvereinbarung gelten daher aufgrund der Nachwirkung im Betrieb zwar weiterhin unmittelbar, nicht aber mehr zwingend.
Es liegt daher im Interesse der Arbeitnehmer und des Betriebsrats, schnellstmöglich eine neue Betriebsvereinbarung abzuschließen.
5. Wann endet die Nachwirkung?
Ende der Nachwirkung bei erzwingbaren Betriebsvereinbarungen
Die Gefahr einer übermäßig langen Nachwirkung besteht bei der erzwingbaren Betriebsvereinbarung nicht. Schließlich können sowohl Betriebsrat als auch Arbeitgeber bei Scheitern einer Einigung die Einigungsstelle anrufen, eine neue Betriebsvereinbarung erzwingen und so das Ende der Nachwirkung herbeiführen.
Ende der Nachwirkung bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen
Die rechtliche Lage bei der freiwilligen Betriebsvereinbarung ist hingegen komplizierter und verworren. Zwar endet auch hier die Nachwirkung mit Abschluss einer neuen Abmachung; oft ist aber nicht sicher, wann und ob überhaupt eine weitere Betriebsvereinbarung geschlossen wird.
Schließlich ist die freiwillige Betriebsvereinbarung gerade nicht erzwingbar und beruht zu großen Teilen auf dem guten Willen von Arbeitgeber und Betriebsrat. Verweigert eine dieser Parteien den Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung, könnte es praktisch zu einer „ewigen“ Nachwirkung kommen.
Ende der Nachwirkung bei außerordentlicher Kündigung
Zuletzt ist in Fachkreisen umstritten, ob eine außerordentliche Kündigung der Betriebsvereinbarung auch die Nachwirkung sofort beendet.
Hierfür wird angeführt, dass es wenig Sinn mache, die außerordentliche Kündigung aufgrund Unzumutbarkeit der Betriebsvereinbarung zu gestatten, nur um dann die Nachwirkung der Vereinbarung gutzuheißen. Die Rechtsprechung scheint hingegen trotzdem eine Nachwirkung anzunehmen (z.B. BAG, Beschluss vom 10.08.1994 – Az. 10 ABR 61/93).
Im Falle einer außerordentlichen Kündigung sollte sich der Betriebsrat daher zur Klärung dieser Ausnahmesituation immer an einen Anwalt für Arbeitsrecht wenden.
6. Fazit
- Eine Betriebsvereinbarung ist ein Vertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.
- Erzwingbare Betriebsvereinbarungen können auch ohne Zustimmung des Arbeitgebers durch Spruch der Einigungsstelle geschlossen werden. Freiwillige Betriebsvereinbarungen kommen daher nur einvernehmlich zustande.
- Betriebsvereinbarungen können mit einer Frist von drei Monaten oder ausnahmsweise fristlos gekündigt werden.
- Regelungen einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung gelten auch nach ihrem Ende kraft Gesetzes weiter. Dies nennt man „Nachwirkung“.
- Freiwillige Betriebsvereinbarungen entfalten nur Nachwirkung, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat darauf geeinigt haben.
- Trotz Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung können Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Ungunsten des Arbeitnehmers von der Betriebsvereinbarung abweichen.
- Die Nachwirkung endet mit Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung.
- Zudem kann meist auch bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen die Einigungsstelle angerufen und so die Nachwirkung beendet werden.