1. Strafrechtlicher Schutz von Betriebsräten – § 119 BetrVG
Die Rolle des Betriebsrats im Arbeitsrecht ist von besonderer Bedeutung. Aus diesem Grund ist eine ungestörte Tätigkeit des Betriebsrats unabdingbar. Nicht nur die Gerichte sehen das so, sondern auch der deutsche Gesetzgeber. Er hat im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zahlreiche Regelungen getroffen, die die Tätigkeit des Betriebsrats und seiner Mitglieder umfassend schützen sollen.
Hierbei handelt es sich nicht nur um wünschenswerte Ziele. Der Gesetzgeber hat vielmehr konkrete Normen wie z.B. das Benachteiligungsverbot in § 78 BetrVG erlassen, aus denen betroffene Mitglieder und der Betriebsrat echte Ansprüche ableiten können. Diese sind gerichtlich durchsetzbar und können den Arbeitgeber dazu zwingen, jegliche Störung oder Benachteiligung zu unterlassen. Abgesehen davon erfolgt allerdings keine Sanktion.
Wohl nur den wenigsten dürfte hingegen bewusst sein, dass das Betriebsverfassungsrecht noch über ein weiteres „scharfes Schwert“ zur Durchsetzung der Rechte des Betriebsrats und seiner Mitglieder verfügt: Das Strafrecht. § 119 BetrVG droht für bestimmte Behinderungen und Benachteiligungen der Tätigkeit des Betriebsrats und seiner Mitglieder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder alternativ eine Geldstrafe an.
Dadurch soll der Schutz des Betriebsrats weiter verbessert werden. Das zeigt, welche Bedeutung die Tätigkeit des Betriebsrats – auch aus Sicht des Gesetzgebers – hat. Die weitgehende Unbekanntheit des § 119 BetrVG liegt aber auch daran, dass er aufgrund seiner drastischen Folgen nur selten zum Einsatz kommt. Trotzdem sollte die Norm Verantwortlichen auf beiden Seiten bekannt sein.
2. Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach § 119 BetrVG
Nicht jede Beeinträchtigung des Betriebsrats steht unter Strafandrohung. Die strafbaren Handlungen zählt § 119 Abs. 1 BetrVG auf. Der Täter muss sie stets vorsätzlich begehen, d.h. eine bloß fahrlässige Begehung ist nicht strafbar.
Die Verhaltensweisen lassen sich in drei Gruppen aufteilen:
- Beeinträchtigungen oder Beeinflussungen der Wahl des Betriebsrats: Die Wahl des Betriebsrats ist eine wesentliche Voraussetzung, damit Arbeitnehmer ihre Interessen überhaupt wahren können. Aus diesem Grund ist die Behinderung der Wahl des Betriebsrats, indem der Arbeitgeber beispielsweise Arbeitnehmer von der Wahl fernhält, unter Strafe gestellt. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit der Kündigung oder Versetzung droht, sofern er einen bestimmten Kandidaten wählt.
- Behinderung oder Störung der Tätigkeit des Betriebsrats: Um die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, muss der gewählte Betriebsrat auch ungestört arbeiten können.
Beispiel: Ein Arbeitgeber bietet Betriebsratsmitgliedern Entgelterhöhungen an, wenn sie aus dem Betriebsrat austreten. In der Folge kommt es zum Austritt von fünf Mitgliedern und der anschließenden Zwangsauflösung des Betriebsrats.
- Benachteiligung oder Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds: Betriebsratsmitglieder sollen keine Nachteile zu befürchten haben, wenn sie im Interesse der Arbeitnehmer auch zulasten des Arbeitgebers agieren. Es gilt das Benachteiligungsverbot von Betriebsräten. Insofern darf der Arbeitgeber seine Machtposition nicht zur Einschüchterung von Betriebsratsmitgliedern nutzen. Andererseits sollen die Mitglieder auch nicht durch die Gewährung von Vorteilen dazu bewegt werden, besonders arbeitgeberfreundlich abzustimmen.
3. Verfolgung der Straftat nur auf Antrag
Eine Straftat nach § 119 BetrVG wird von der Staatsanwaltschaft nur auf Antrag des Betriebsrats verfolgt. Das sieht das Gesetz ausdrücklich vor. Dazu hat sich der Gesetzgeber entschieden, um die Verfolgung von Verstößen in das Ermessen des Betriebsrats zu legen. Dieser soll selbst bestimmen, ob die Einmischung der Justiz in einen Sachverhalt erforderlich ist oder alternativ eine interne Klärung genügt. Durch die gesetzliche Einstufung als Antragsdelikt wird dem Betriebsrat damit ein „Druckmittel“ an die Hand gegeben.
Antragsberechtigt sind nach der Vorschrift des § 119 Abs. 2 BetrVG neben dem Betriebsrat unter anderem auch eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft und das Unternehmen selbst. Einzelne betroffene Betriebsratsmitglieder sind damit nicht zur Stellung eines Strafantrags berechtigt. Im Umkehrschluss muss der Betriebsrat daher in seiner Gesamtheit – also durch ordnungsgemäßen Beschluss – über die Stellung entscheiden. Die Gewerkschaften dürften vor allem dann einen Antrag stellen, wenn der Arbeitgeber die Gründung eines Betriebsrats durch Betriebsratswahl verhindert. Dann existiert nämlich noch gar kein Betriebsrat, der den erforderlichen Strafantrag stellen kann.
4. Wem droht die Strafverfolgung?
„Täter“ einer Tat nach § 119 BetrVG kann grundsätzlich jedermann sein. Die Norm beschränkt den Täterkreis nicht auf den Arbeitgeber oder Betriebsräte. Auch Externe müssen mit einer Strafverfolgung rechnen. Wer sich nur an der Tat beteiligt, kann sich zudem beispielsweise wegen Anstiftung strafbar machen.
Der Hauptanwendungsfall liegt jedoch sicherlich beim Arbeitgeber, weil dieser in der Regel am meisten von einer Behinderung des Betriebsrats profitiert. Da ihn in Bezug auf den Betriebsrat und seine Mitglieder eine besondere Rechtspflicht (sogenannte Garantenstellung) trifft, kann er den Tatbestand des § 119 BetrVG sogar durch Unterlassen begehen.
5. Wann lohnt sich ein Vorgehen nach § 119 BetrVG?
Die relativ geringe praktische Bedeutung des § 119 BetrVG liegt im Wesentlichen an den enormen Auswirkungen eines Strafverfahrens auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Betriebsräte werden regelmäßig zunächst versuchen, das Problem durch Kommunikation oder über betriebsverfassungsrechtliche Mittel zu lösen. Der Fokus liegt dabei auf einer gesichtswahrenden Lösung für beide Seiten, die eine künftige Zusammenarbeit ermöglicht.
Ist aber das Tischtuch zwischen Arbeitgeber und Gremium endgültig zerschnitten, sollten Betriebsräte den § 119 BetrVG und seine Strafverfolgungsvoraussetzungen kennen. Die Strafbarkeit kann daher nicht nur ein Druckmittel, sondern auch die letzte Möglichkeit sein, die ordnungsgemäße Tätigkeit des Betriebsrats sicherzustellen.
Der wohl auch einigen Arbeitgebern nicht vertraute § 119 BetrVG sollte trotz des verhältnismäßig niedrigen Strafrahmens nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Denn je nach Höhe der Strafe kann eine Verurteilung zur Eintragung ins Führungszeugnis des Täters führen. Er gilt dann gemeinhin als „vorbestraft“. Das kann beispielsweise bereits ab einer Geldstrafe in Höhe von 91 Tagessätzen der Fall sein. Darüber hinaus tauchen ab der zweiten Verurteilung unabhängig von der Höhe der Strafe beide Strafen im Führungszeugnis auf. Mit der Vorbestrafung können sich für den Täter auch weitere persönliche und berufliche Nachteile ergeben.
6. Fazit
- Das Betriebsverfassungsrecht schützt die Tätigkeit des Betriebsrats auf verschiedene Arten. Kaum bekannt ist aber, dass auch strafrechtliche Konsequenzen bei Verstößen in Betracht kommen.
- 119 BetrVG verbietet verschiedene Beeinträchtigungen und Beeinflussungen der Tätigkeit des Betriebsrats und seiner Mitglieder. Strafbar sind Verhaltensweisen beginnend von der Wahl des Betriebsrats bis hin zu seiner konkreten Tätigkeit.
- Straftaten nach § 119 BetrVG werden durch die Staatsanwaltschaft nur auf Strafantrag verfolgt. Antragsberechtigt sind insbesondere der Betriebsrat oder die Gewerkschaft.
- Strafbar kann sich jeder machen, also nicht nur der Arbeitgeber.
- Die Stellung eines Strafantrags sollte erst als letztes Mittel in Betracht gezogen werden. Vielfach lassen sich Behinderungen der Tätigkeit des Betriebsrats auch anderweitig beseitigen.